C. Kunst: Basilissa – Die Königin im Hellenismus

Cover
Titel
Basilissa – Die Königin im Hellenismus. 2 Bände: I. Die Quellen; II. Die Darstellung


Autor(en)
Kunst, Christiane
Reihe
Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption (23)
Erschienen
Rahden/Westf. 2021: Verlag Marie Leidorf
Anzahl Seiten
1.040 S.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Müller, Seminar für Alte Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Das monumentale Werk in zwei Bänden, das erstmals in deutscher Sprache umfassend die Argeadinnen und die hellenistischen royal women untersucht, steht im Kontext der seit mehreren Jahrzehnten etablierten Forschungsrichtung, die in reger internationaler Diskussion die Handlungsräume makedonischer Herrscherinnen untersucht. Als Pionierin gilt Grace Harriet Macurdy, die mit ihrer Publikation „Hellenistic Queens“ von 1932 erste Maßstäbe setzte.1 Seit den 1980er-Jahren wurden die Publikationen von Elizabeth Donnelly Carney maßgeblich, auch in der aktuellen Diskussion bleibt sie die führende Expertin zu den makedonischen royal women.2 Auf ihren wegweisenden Forschungen basieren die heutigen methodischen, terminologischen und analytischen Herangehensweisen bezüglich der politischen Rollen und Handlungsräume makedonischer royal women als Vertreterinnen ihrer jeweiligen Dynastien.3 Insgesamt ist in einem Forschungsprozess, der insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten Aufschwung erlebt hat, ein Weg beschritten worden, der – von der Dekonstruktion topischer Frauenbilder in den griechisch-römischen literarischen Quellen ausgehend – zur Analyse der politischen Strukturen geführt hat, die den makedonischen royal women ihre Handlungsräume eröffneten. Im Fokus stehen derzeit vor allem ihre Einflussmöglichkeiten als dynastische Agentinnen ihrer Natal- und Nuptialfamilien, ihre Rollen und Images in der Repräsentationspolitik ihrer jeweiligen Häuser und ihre Handlungsräume im Krieg. Vor diesem sehr belebten Forschungshintergrund ist auch die vorliegende Publikation zu verorten, die aktualisierend an Macurdys Frage nach der „woman-power“ im Hellenismus anknüpft.

Christiane Kunst ist eine der international führenden Expertinnen zu römischen royal women vor allem der julisch-claudischen Dynastie, aber auch übergreifend für antike weibliche Handlungsräume.4 Sie bringt ihre Expertise zur quellenkritischen Analyse und Dekonstruktion konventioneller Topik gegenüber weiblicher Sichtbarkeit auf traditionell als „männlich“ konnotierten Handlungsräumen ebenso souverän wie gewinnbringend in die Behandlung der hellenistischen royal women ein.

Der erste Teilband ist der historischen Kontextualisierung und Darstellung der einzelnen Frauen vor den zeitpolitischen Ereignissen sowie in ihren Handlungsräumen gewidmet. Die Hauptbasis bilden die literarischen, epigraphischen und papyrologischen Quellen, doch auch numismatische und archäologische Evidenz wird einbezogen. Sorgfältig bettet Kunst die Untersuchung in den historischen Rahmen der Entstehung der hellenistischen Reiche nach dem Auseinanderbrechen des Alexanderreichs ein (S. 7–32). Als grundlegende Informationen werden die Strukturen und sozialen Funktionen des hellenistischen Hofs, der Handlungsplattform der royal women, beleuchtet (S. 33–45). Nach einer einleitenden Behandlung der Argeadinnen bis zu Philipp II. (S. 47–77), unter dessen Regierung ein entscheidender Anstieg ihrer öffentlichen Sichtbarkeit angesetzt wird5, folgt die Betrachtung der royal women unter Alexander III. Prominent traten Kleopatra und Olympias hervor, im Gegensatz zu seinen drei (nicht-makedonischen) Ehefrauen des Königs (S. 79–104). Die Analyse der Handlungsräume der „transitional royal women6, jener Argeadinnen, die in der Ausnahmesituation nach Alexanders Tod 323 v.Chr. um die Rechte ihrer Dynastie kämpften (S. 105–122), leitet zu dem Kernthema der royal women in den hellenistischen Reichen über.

Kunst gliedert ihre Untersuchung in übersichtlicher Weise geographisch (vor-antigonidisches und antigonidisches Makedonien, S. 105–122; Seleukidenreich, S. 123–164; Ptolemäerreich, S. 165–269) und chronologisch nach einzelnen Vertreterinnen. Ein systematischer Teil schließt sich an, der luzide und pointiert die dynastiepolitischen (S. 271–284), kultischen (S. 285–299) und realpolitischen (S. 301–349) Handlungsräume hellenistischer royal women beleuchtet. Zu der leserfreundlichen und besonders übersichtlichen Anlage des Bands gehört auch der Bonus, dass jedes Kapitel mit einer kurzen Zusammenfassung abschließt und die dargelegten Entwicklungslinien in einem Schlussfazit noch einmal rekapituliert werden (S. 351–359). Die umfassende Ausstattung beinhaltet eine umfangreiche Bibliographie (S. 361–412), ausführliche Register (S. 412–453), eine Zeittafel und faltbare Stammtafeln in Buntdruck.

Der zweite Teilband bietet eine Zusammenstellung der relevanten literarischen, epigraphischen und papyrologischen Quellenstellen. Deren zweisprachige Wiedergabe ist als besonders positiv zu bewerten, da dies bei Quellensammlungen leider keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Im Anhang finden sich zudem 28 Buntabbildungen von Münzen und archäologischem Material in exzellenter Bildqualität.

Insgesamt handelt es sich um eine ausgezeichnet konzipierte, übersichtlich gestaltete, höchst kenntnisreiche und informative Publikation auf dem aktuellen Forschungsstand. Der erste Teil überzeugt durch die pointierte, differenzierte und kritische Analyse, der zweite Teil durch die nützliche, zweisprachige Zusammenstellung der relevanten Quellenpassagen und der Abbildungen. Daher ist die ambitionierte Publikation eine höchst willkommene Bereicherung innerhalb der Forschungsdebatte. Nicht nur Studierenden, sondern auch allen, die sich für hellenistische Geschichte bzw. den antiken Gender Studies interessieren, ist sie wärmstens zu empfehlen.

Anmerkungen:
1 Grace Harriet Macurdy, Hellenistic Queens. A Study of Woman-Power in Macedonia, Seleucid Syria, and Ptolemaic Egypt, Baltimore 1932.
2 Vgl. z.B. Elizabeth D. Carney, Women and basileia. Legitimacy and Female Political Action in Macedonia, in: Classical Journal 90 (1995), S. 367–391; Women and Monarchy in Macedonia, Norman 2000; Women and Military Leadership in Macedonia, in: The Ancient World 35 (2004), S. 184–195; Macedonian Women, in: J. Roisman / I. Worthington (Hrsg.), A Companion to Ancient Macedonia, Oxford, S. 409-427; Olympias. Mother of Alexander the Great, New York 2006; Arsinoë of Egypt and Macedon. A Royal Life, Oxford 2013; Eurydice and the Birth of Macedonian Power, Oxford 2019.
3 Vgl. Elizabeth D. Carney, Putting Women in their Place: Women in Public under Philip II and Alexander III and the Last Argeads, in: Elizabeth D. Carney / Daniel Ogden (Hrsg.), Philip II and Alexander the Great, Oxford, S. 43–54. So strich Carney etwa in punkto Terminologie heraus, dass der Begriff der „Königin“/„queen“, in der älteren Forschung ohne Unterschied sowohl für argeadische royal women (für die de facto kein Titel bekannt ist) als auch für hellenistische_royal women_ verwendet, den komplexen Begriff basilissa, der seit der frühen Diadochenzeit (für Phila, Frau des Demetrios Poliorketes) fassbar und nicht auf Herrschergattinnen beschränkt ist, nicht wiedergebe. Vgl. Elizabeth D. Carney, ‘What’s in a Name?’ The Emergence of a Title for Royal Women in the Hellenistic Period, in: Sarah B. Pomeroy (Hrsg.), Women’s History and Ancient History, Chapel Hill 1991, S. 154–172.
4 Vgl. Christiane Kunst, Frauen im hellenistischen Herrscherkult, in: Klio 89 (2007), S. 24–38; Livia: Macht und Intrigen am Hof des Augustus, Stuttgart 2008; Patronage/Matronage der Augustae, in: Anne Kolb (Hrsg.), Augustae. Machtbewusste Frauen am römischen Kaiserhof? Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis II, Berlin 2010, S. 145–161; Von Augustus zu Tiberius. Zur Problematik der Nachfolgeregelung, in: Marietta Horster / Florian Schuller (Hrsg.), Augustus. Herrscher an der Zeitenwende, Regensburg 2014, S. 156–170; Zugang zur Macht. Wege zum Herrscher, in: Potestas 8 (2015), S. 73–82; Livia and the Principate of Augustus and Tiberius, in: Elizabeth D. Carney / Sabine Müller (Hrsg.), The Routledge Companion to Women and Monarchy in the Ancient Mediterranean World, London 2021, S. 388–398. Als Herausgeberin: Christiane Kunst (Hrsg.), Matronage. Soziale Netzwerke von Herrscherfrauen im Altertum in diachroner Perspektive, Rahden / Westfalen 2013.
5 Vgl. Elizabeth D. Carney, Philippeion, in: Waldemar Heckel / Johannes Heinrichs / Sabine Müller / Frances Pownall (Hrsg.), Lexikon of Argead Makedonia, Berlin 2020, S. 420–421.
6 Vgl. Elizabeth D. Carney, Transitional Royal Women: Kleopatra, Sister of Alexander the Great, Adea-Eurydike, and Phila, in: Elizabeth D. Carney / Sabine Müller (Hrsg.), The Routledge Companion to Women and Monarchy in the Ancient Mediterranean World, London 2021, S. 321–332.

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